„Deutsche aus Russland“: Ausstellung im Briegelacker im Rahmen der Interkulturellen Wochen – noch bis 30. September
Helene Fischer ist ein Star und ein erfolgreiches Beispiel für die Integration einer Spätaussiedlerin. Bei der Eröffnung der Wanderausstellung „Deutsche aus Russland. Geschichte und Gegenwart“ des Vereins Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in Baden-Baden fiel deshalb auch ihr Name. Sie ist eine von vielen, die aufgrund von Diskriminierung und Verfolgung das Leben in Russland hinter sich ließen, um in das Land der Vorfahren zu migrieren. Auch in Baden-Baden kamen in den 1990er Jahren viele Deutsche aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten an. Über zweieinhalb Millionen Spätaussiedler leben inzwischen in Deutschland – nicht alle wurden zum Star, aber haben sich in der Arbeitswelt und in Vereinen integriert.
Die Wanderausstellung „Deutsche aus Russland“ findet im Rahmen der diesjährigen Interkulturelle Wochen in Baden-Baden statt und ist noch bis Dienstag, 30. September, im Saal des Stadteilzentrum Briegelacker zu sehen.
Stadteilzentrum von Spätaussiedlern geprägt
Frank Herzberger, Fachbereichsleiter Migration und Integration beim Caritasverband Baden-Baden und Leiter des Stadtteilzentrum Briegelackers, spannte bei der Ausstellungseröffnung den Bogen zu den Anfängen seiner Einrichtung vor 30 Jahren im Jahr 1995. Damals seien in der Straße eher Spätaussiedler wohnhaft gewesen und der Jugendtreff von vielen Jugendlichen aus Spätaussiedler-Familien besucht worden. Im Kindergarten war zu der Zeit die Mehrzahl der Kinder ebenfalls aus Russland-Deutschen Familien. Er zeigte sich beeindruckt, welche Schicksale die Familien der Spätaussiedler erlebt hätten.
„Alles war neu“ – eine Zeitzeugin erzählt
Als Vertreterin einer Spätaussiedler-Familie schilderte Elvira Enns bei der Ausstellungseröffnung ihre Geschichte. Mit 16 Jahren kam sie 1995 mit der Familie – Eltern, Großeltern, vier Kinder – aus dem Ural nach Deutschland. Im Ural hatten sie in einem deutschen Dorf gelebt, deutsches Brot gebacken und ihr „eigenes“ Deutsch gesprochen. „In Deutschland war alles neu, aufregend und ein bisschen verrückt“, erzählte sie von der ersten Zeit. Sie wollten nach Baden-Baden, weil dort Verwandte lebten. Zunächst sei die Familie in einem von vielen Spätaussiedlern bewohnten Hotel untergekommen. Dort habe sie und ihre Schwester ihre späteren Ehemänner kennengelernt. „Aber der Start war nicht nur lustig“, meint sie. Die Sprache, Behördengänge, das korrekte Busfahren – es gab viel zu lernen. Sie wollte Lehrerin werden, aber ihr Schulabschluss wurde in Deutschland nur als Hauptschulabschluss anerkannt. Sie bildete sich fort, wurde Kinderpädagogin und hat in der Kita des Stadtteilzentrums Briegelacker gearbeitet sowie anderen Nachhilfeunterricht gegeben. Mit ihrer Familie lebt sie in Baden-Baden, ist inzwischen selbst schon Oma und hat in Baden-Baden das Pädagogische Zentrum gegründet und gerade eine eigene Kita eröffnet. „Ich habe meine Wurzeln nie vergessen und begleite Familien, die neu in Deutschland sind“, sagte sie. Und weiter: „Heimat entsteht, wenn Menschen sich die Hand reichen.“
Not und Anreize führten die Vorfahren zur Auswanderung
Die Vorfahren der umgangssprachlich als „Russland-Deutsche“ bezeichneten Menschen waren im 18. und 19. Jahrhundert ausgewandert – teilweise aus der Not heraus nach dem napoleonischen Krieg und aufgrund anderer Missstände oder weil „ehrbare und fleißige Bauern und Handwerker“ von der russischen Zarenfamilie für das Zarenreich angeworben wurden. Darüber und über die Geschichte der Deutschen aus Russland referierte Dr. Eugen Eichelberg vom Verein „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ bei der Ausstellungseröffnung. Er selbst ist in der heutigen Ukraine geboren und im Nordural aufgewachsen. 1999 kam er mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Düsseldorf.
Vor dem ersten Weltkrieg lebten über 2,4 Millionen Deutsche auf dem damaligen russischen Gebiet, sagte er. In seinem Vortrag stellte er heraus, dass sich in Bezug auf die Spätaussiedler die Herkunft Russland nicht auf das heutige Russland bezieht, sondern das damalige Zarenreich. Deutsche Aussiedler hätten zum Beispiel viel Korn angebaut und zur wirtschaftlichen Blütezeit im 19. Jahrhundert beigetragen – dort wo heutiges Kriegsgebiet in der Ukraine ist.
Schwierigkeiten und Erfolge – Verfolgung und Unterdrückung
Auf über 28 Tafeln wird in der Ausstellung über die Geschichte der Deutschen aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten berichtet, Die Besucherinnen und Besucher erfahren von der Auswanderung von Deutschen an die Wolga, ans Schwarze Meer, in den Kaukasus und in andere Gebiete des Russischen Reichs, aber auch über die Schwierigkeiten und Erfolge in den ersten Jahrzehnten im neuen Land, die Unterdrückung und Verfolgung in den Zeiten des stalinistischen Terrors. Menschen wurden deportiert, Gottesdienste verboten, der Geheimdienst KGB kontrollierte. „Viele Menschen im hohen Alter leiden heute noch unter Traumata“, sagte Eugen Eichelberger und bezog sich dabei auf Aussagen seiner Frau, die in einem Pflegeheim arbeitet.
Die Infotafeln informieren auch über die Versuche eines Neustarts nach dem Tod Stalins sowie die Rückwanderung in die Heimat der Vorfahren – nach Deutschland. Anfängliche Integrationshemmnisse mussten überwunden werden. Nach Jahrzehnten sind Spätaussiedler längst Teil der Gesellschaft, in Vereinen und der Arbeitswelt angekommen und ein Gewinn geworden. Ihre Nachkommen sind in Deutschland geboren.
Informationen zur Ausstellung:
- Besuchszeiten: 22–26.9. und 29.–30.9. jeweils 10-12 und 16-19 Uhr. Die Ausstellung ist kostenfrei. Nachmittags von 16-19 Uhr sind Personen aus dem Kreis der Spätaussiedler für Fragen vor Ort – außer am 22. und 28.9.
- Sollten Besuchende einen barrierefreien Zugang benötigen, sollen diese an der Tür klingeln. Am 30.9. ist der barrierefreie Zugang jedoch leider nicht möglich.
- Die Ausstellung wird gefördert vom Bundesministerium des Innern
- Weitere Informationen zum Thema gibt es auf der Website des Vereins Landsmannschaft der Deutschen aus Russland: lmdr.de
Über den Fachbereich Migration und Integration
Der Caritasverband Baden-Baden e.V. verantwortet im Fachbereich Migration und Integration viele Angebote und Dienste. Durch diese möchten wir dazu beitragen und dabei unterstützen, dass Kinder, Jugendliche und Familien unabhängig von Herkunft, sozialer Biografie, finanziellem Status und Wohnort die gleichen Voraussetzungen und Chancen haben, ihr Leben und ihre Zukunft nach ihren Wünschen zu gestalten. Zu den Angeboten und Diensten zählen die Kindertagesstätte, das Stadtteilzentrum Briegelacker, der Jugendtreff im Stadtteilzentrum Briegelacker, der Jugendtreff Brücke 99 für Kinder und Jugendliche, Streetwork für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 26 Jahren, Beratung und Gruppenangebote für Frauen und Familien sowie das ESF-Projekt „Kompass Erziehung und Beruf“.
Weitere Informationen unter: https://caritas-baden-baden.de/migration-und-integration/
Text und Foto: Birgit Fritz – Caritasverband Baden-Baden e.V.