„Aus Ungleichheit erwachsen Konflikte“

Bild vom Vortrag

Armutsforscher Prof. Dr. Christoph Butterwegge fordert, die sehr Reichen anzutasten

Der Caritasverband Baden-Baden hat im Rahmen der diesjährigen Aktionstage „Armut bedroht alle“ am Freitag, 10. Oktober einen der renommiertesten Armutsforscher Deutschlands nach Baden-Baden in den Salon des Palais Biron eingeladen. Prof. Dr. Christoph Butterwegge sei „ein langjähriger Mahner in Sachen sozialer Gerechtigkeit“, kündigte Thorsten Schmieder, Vorstandsvorsitzender des Caritasverbands Baden-Baden, den hochkarätigen Redner an, der tags zuvor noch ein Interview für Tagesschau24 gegeben hatte. Schon 1.000 Vorträge habe er gehalten, sagte Prof. Dr. Christoph Butterwegge zu Beginn seines Vortrags, aber noch nie in solch einem schönen Ambiente wie diesem Saal.

Unter dem Titel „Armut, Reichtum, Ungleichheit – Gift für das soziale Miteinander“ war die Position des langjährigen Professors für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln absehbar. So zog er direkt Position: „Wer Armut wirksam bekämpfen will, muss die Reichen antasten.“ Er bezog sich dabei auf steuerliche Aspekte und auf die sehr reichen Menschen in Deutschland. Nicht auf die, die drei Wohnungen in Baden-Baden erben würden, aber die, die 301 Wohnungen erben. Diese würden als Holding betrachtet und nicht besteuert. Der „unvorstellbare Reichtum konzentriert sich bei wenigen“, sagt Butterwegge. Zehn Prozent der Reichsten hätten 67,3 Prozent des Nettogesamtvermögens. Und ein Prozent der Reichsten besäßen 35,3 Prozent des Nettogesamtvermögens in Deutschland.

Die Reichsten fokussieren

„Reich ist, wer von den Erträgen aus seinem Vermögen ohne Sorgen leben kann“, meinte er. Reichtum sei aber nicht am Einkommen auszumachen. „Der Maßstab muss das Vermögen sein, weil die Einkommensquelle über Nacht versiegen kann“, ergänzte der Armutsexperte.

In Deutschland hätten die fünf reichsten Familien zusammen 250 Milliarden Euro Privatvermögen – mehr als die 40 Millionen Menschen, die zur ärmeren Hälfte der Gesamtbevölkerung zählen. Der Armutsforscher kritisierte, dass nur über Armut gesprochen oder in den Medien Armut gezeigt würde, aber es kaum um die Reichen gehe.

„Bürgergeldreform ist eine Kapitulation der SPD“

Durch Hartz IV habe in Deutschland Eiseskälte Einzug gehalten. Die sozialen Probleme hätten den Nährboden für Rechtspopulisten bereitet. Der aktuelle Beschluss der schwarz-roten Regierung zur Reform des Bürgergelds, der vor seinem Vortrag in Baden-Baden gefasst wurde, kritisierte er. Den Beziehern von Bürgergeld oder künftig von Grundsicherung sollen härteren Sanktionen drohen. Auch Unterstützung für Unterkunft und Heizung könnten gestrichen werden, falls sich jemand nicht beim Amt zurückmeldet. Die „Totalverweigerer“, gegen die durch die Reform vorgegangen werden soll, seien oft Menschen mit psychischen Problemen, die Angst vor dem Jobcenter hätten, meinte Butterwegge. Sein Fazit: „Der Beschluss ist eine Kapitulation der SPD.“ Zudem sagte er klar in Bezug auf die Gesellschaft: „Ein Miteinander funktioniert nicht, wenn sich die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft.“

Der Autor mehrerer Bücher gab weitere Einblicke: Das Armutsrisiko der älteren Menschen stieg in den letzten Jahren am stärksten. Aber am stärksten betroffen seien mit 25 Prozent die jungen Menschen wie Studenten und Auszubildende.

Hunderte Millionen an wenige Kinder überschrieben

Butterwegge verwies darauf, dass der Spitzensteuersatz nach unten gesetzt wurde, dass die Reichensteuer nur nach Erwerbseinkommen berechnet würde, aber nicht für Dividenden der Superreichen gelte. Zudem sprach er von sehr reichen Familien, die ihren Kindern Geld geschenkt haben, um Steuern zu umgehen. So seien, gab Butterwegge an, zwischen 2011 und 2014 von Eigentümern großer Konzerne 29,4 Milliarden Euro Betriebsvermögen an den noch sehr jungen Nachwuchs überschrieben worden. Somit hätten 90 Kinder unter 14 Jahren zusammen fast 327 Millionen Euro erhalten.  

Gift für das soziale Miteinander

Dem gegenüber zeigte er auf, dass die Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger sehr wohl arbeiten wollen würden und nicht faul seien, wie oft unterstellt würde. „Alle wollen eigentlich arbeiten und sich nützlich machen“, sagte der Armutsforscher. Seiner Ansicht nach erwachse aus Ungleichheit Konflikte. Die Ungleichheit sei ein Gift für das soziale Miteinander und eine Gefahr für die Demokratie. Die Armen würden resignieren und nicht mehr wählen gehen. Die Mittelschicht hätte Angst vor Krisen und vor Armut. Er verwies dabei auf den Aufstieg der NSDAP in den 1920er und 1930er Jahren und die Zunahme der AfD-Anhänger heute.

Eine weitere Gefahr sieht er in der zunehmenden politischen Einflussnahme der ganz Reichen, durch die Nähe und Kontakte zu entscheidenden Persönlichkeiten in der Bundespolitik.

Zunahme von absoluter Armut

Das Klima in Deutschland skizzierte er unter anderem so: Sozialneid nach unten. Hetze gegen Bürgergeld-Empfänger durch beispielsweise Schlagzeilen in einer bekannten Zeitungen mit sehr hoher Auflage. Die Darstellung, dass es den Reichen so schlecht geht.

„Durch die soziale Reform wird sich die relative Armut in absolute Armut verschieben“, sagte Butterwegge. Bei der relativen Armut könne man sich manches wie ein Zirkus-Besuch oder die Kirmes nicht mehr leisten. Bei der absoluten Armut hätten die Menschen dann zum Beispiel kein Geld mehr für warme Kleidung im Winter. Die Reform des Bürgergelds könnte auch Wohnungs- und Obdachlosigkeit provoziert werden. Das falle dann auf die Kommunen zurück, die sich darum kümmern müssten.

Butterwegge fordert Umverteilung

Es müsse eine Umverteilung stattfinden, aber das finde im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung nicht statt. Er schlug in seinem Vortrag mehrere Maßnahmen vor: Tarifverträge allgemeinverbindlich zu machen und Leiharbeit abzuschaffen. Der Sozialstaat sollte seiner Meinung nach ausgebaut und auch Beamte und Minister einbezogen werden. Eine andere Steuerpolitik sei nötig, sodass wieder eine Vermögenssteuer erhoben würde. „Es ist extrem skandalös, dass Firmenerben keine Steuern zahlen müssen“, meinte Butterwegge.

Er gibt zu, einen oppositionellen, aufmüpfigen Charakter zu haben. „Was ist, muss nicht ewig so sein“, ist seine Sichtweise. Sein Politikverständnis: „Man muss es versucht haben.“ Dass es gelinge, die Welt demokratischer zu machen, sei er skeptisch, räumte er ein. Zum Abschluss ergänzt er noch: „Es ist wichtig, dafür zu werben, dass mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen wird.“

Am gleichen Tag als über die Entscheidung zur Bürgergeld-Reform berichtet wurde, ist auch das erste Lehrschreiben von Papst Leo IVX in den Schlagzeilen. Das sei „symbolhaft“ meinte Butterwegge. In der Enzyklika geht der Pontifex auf die weltweite Entwicklung von immer mehr armen Menschen und einer Zunahme einiger reicher Eliten ein.

Text und Foto: Birgit Fritz – Caritasverband Baden-Baden e.V.